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Haare, Federn und Schuppen haben vieles gemeinsam

Die mögliche evolutionäre Verwandtschaft zwischen Säugetierhaar, Vogelfedern und Reptilienschuppen wird schon während Jahrzehnten debattiert. Nun konnten Forscher der Universität Genf (UNIGE) und dem SIB Schweizerischen Institut für Bioinformatik zeigen, dass all diese Hautanhangsgebilde einen gemeinsamen Ursprung haben. Mithilfe neuer Analysen in der Embryonalentwicklung gelang es den Schweizer Biologen, in frühen Entwicklungsstadien identische molekulare und mikroanatomische Merkmale im Haar, der Feder, und der Schuppe festzustellen. Diese neuen Beobachtungen, die heute in der Fachzeitschrift Science Advances publiziert werden, deuten auf einen gemeinsamen Reptilienvorfahren dieser drei Strukturen hin.

Die drei Varianten der Bartagame. Unten: «normales» Tier (Wildtyp), Mitte: die heterozygote Mutante mit einer Kopie des mutierten EDA Gens; Oben: die homozygote Mutante mit zwei Kopien der EDA Mutation. Die homozygote Variante hat keine Schuppen, die Schuppen der heterozygoten Variante sind kleiner im Vergleich zum Wildtyp.
Bild: Michel C. Milinkovitch, UNIGE

Die mögliche evolutionäre Verwandtschaft zwischen Säugetierhaar, Vogelfedern und Reptilienschuppen wird schon während Jahrzehnten debattiert. Nun konnten Forscher der Universität Genf (UNIGE) und dem SIB Schweizerischen Institut für Bioinformatik zeigen, dass all diese Hautanhangsgebilde einen gemeinsamen Ursprung haben. Mithilfe neuer Analysen in der Embryonalentwicklung gelang es den Schweizer Biologen, in frühen Entwicklungsstadien identische molekulare und mikroanatomische Merkmale im Haar, der Feder, und der Schuppe festzustellen. Diese neuen Beobachtungen, die heute in der Fachzeitschrift Science Advances publiziert werden, deuten auf einen gemeinsamen Reptilienvorfahren dieser drei Strukturen hin.

Säugetierhaare und Vogelfedern entwickeln sich aus einer sehr ähnlichen, ursprünglichen Struktur, «Plakode» genannt: eine örtliche Verdickung der Epidermis aus Drüsenzellen, welche ihre Proliferation zurückschrauben und eine spezifische Gruppe von Genen exprimieren. Diese Beobachtung hat Evolutions- und Entwicklungsbiologen viele Jahre vor ein Rätsel gestellt, da Vögel und Säugetiere keine sogenannten Schwestergruppen sind: sie stammen von verschiedenen Linien von Reptilien ab. Frühere Studien zeigten auch, dass Reptilienschuppen sich nicht aus einer anatomischen Plakode entwickeln. Die Schlussfolgerung daraus war, dass Vögel und Säugetiere während der Evolution unabhängig voneinander Plakoden entwickelt haben müssen.

Der gemeinsame Ursprung der Plakoden gefunden

Ein Team der Universität von Yale (USA) publizierte 2015 eine Studie, die zeigte, dass Reptilienschuppen, Haare und Federn während ihrer Entwicklung gemeinsame molekulare Merkmale aufweisen. Diese Resultate fachten eine uralte Debatte zwischen zwei Lagern neu an. Für die einen deuten diese molekularen Merkmale auf einen gemeinsamen, evolutionären Ursprung von Hautanhangsgebilden hin, während die anderen argumentieren, dass lediglich die selben Gene gebraucht wurden, um die verschiedenen Hautanhangsgebilde auszuprägen.

Heute setzen Nicolas Di-Poï und Michel C. Milinkovitch von der Abteilung Genetik und Evolution an der wissenschaftlichen Fakultät der Universität Genf und dem SIB dieser Kontroverse ein Ende, indem sie zeigen, dass sich Reptilienschuppen aus Plakoden mit denselben anatomischen und molekularen Merkmalen wie die Plakoden von Säugetieren und Vögeln entwickeln. Die beiden Forscher untersuchten und analysierten minutiös die morphologischen und molekularen Charakteristiken der Haut während der Embryonalentwicklung von Krokodilen, Schlangen und Eidechsen. «Unsere Studie liefert nicht nur neue Daten, die die Arbeit des amerikanischen Teams ergänzen, sondern bringen auch wichtige mikroanatomische Gegebenheiten zum Vorschein», erklärt Michel Milinkovitch. «Wir haben in Reptilien neue molekulare Merkmale identifiziert, die identisch mit denjenigen sind, die sich während der Entwicklung von Haaren und Federn beobachten lassen, und wir haben dieselbe anatomische Plakode wie in Säugetieren und Vögeln gefunden. Dies deutet darauf hin, dass die drei Typen von Hautanhangsgebilden homolog sind: die Reptilienschuppen, die Vogelfedern, und die Säugetierhaare haben sich, trotz ihres letztlich so unterschiedlichen Aussehens, aus der Schuppe ihres gemeinsamen Reptilienvorfahren entwickelt.»

Ein Schlüsselgen für die Entwicklung von Hautanhangsgebilden

In ihrer neuen Studie haben die Forscher der Universität Genf und dem SIB auch die Bartagame untersucht, eine Eidechsenart, die in drei Varianten auftritt. Die erste Form ist der unmutierte Wildtyp. Die zweite Variante hat kleinere Schuppen aufgrund einer natürlich vorkommenden Mutation in einem Gen. Die dritte Variante hat zwei Kopien dieser Mutation… und gar keine Schuppen! Durch den Vergleich der Genome dieser drei Varianten gelang es Di-Poï und Milinkovitch das durch die Mutation betroffene Gen ausfindig zu machen. «Wir fanden, dass dem merkwürdigen Aussehen dieser nackten Eidechsen ein Defekt im Ektodysplasin-A (EDA) Gen zugrunde liegt, ein Gen, dessen Mutation in Menschen und Mäusen bekanntermassen schwere Fehlbildungen in der Entwicklung von Zähnen, Drüsen, Nägeln und Haaren hervorruft», erläutert Michel Milinkovitch. Die Schweizer Forscher konnten nachweisen, dass Eidechsen mit einem EDA Defekt keine richtige Schuppen-Plakode bilden können, genauso wie Säugetiere und Vögel mit ähnlichen Mutationen im selben Gen keine richtigen Haar- oder Feder-Plakoden entwickeln können. All diese Daten deuten in kohärenter Weise auf einen gemeinsamen Ursprung von Schuppen, Federn und Haaren hin.

Die nächste Herausforderung für das Schweizer Team und viele weitere Forscher weltweit wird es sein, die Feinmechanismen zu entziffern, die schliesslich zu den verschiedenen Formen der Hautanhangsgebilde führen. Wie konnten aus der ursprünglichen, schuppigen Haut die unterschiedlichen Morphologien wie Schuppen, Federn und Haare sowie ihre unglaubliche Vielfalt an Formen entstehen? Diese künftigen Studien werden hoffentlich unser Verständnis der physikalischen und molekularen Prozesse vertiefen, die die Komplexität und die Vielfalt des Lebens während der Entstehungsgeschichte vorantreiben.

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